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Epilepsie
3. Turmgespräch Epilepsie

Patienten – Positionen – Perspektiven

Köln (9. Oktober 2007) – Jeder Mensch kann in jedem Alter plötzlich da­von betroffen sein – rund zehn Prozent der Bevölkerung haben min­destens einen epileptischen Anfall in ihrem Leben. Bei rund einem Pro­zent resultiert eine behandlungsbedürftige Epilepsie. Betroffen sein kann jeder, sei es zum Beispiel durch einen Unfall oder durch eine Er­krankung, die das Hirngewebe beeinträchtigt hat. Entsprechend vielfäl­tig ist das Patientenbild: ob Sportler, Schulkind, Berufstätiger oder Se­nior – so individuell wie die Epilepsiepatienten sind, so individuell sind die Anforderungen an ein wirkungsvolles Therapiemanagement der Krankheit. Beim 3. Turmgespräch Epilepsie in Köln, das von Professor Dr. med. Bernhard J. Steinhoff, Kehl, eingeleitet wurde, diskutierten Epileptologen und Betroffene die vielfältigen Positionen und Perspekti­ven von Patienten mit Epilepsie.

„Eine Epilepsie kann unterschiedlichste Menschen mit unterschiedli­chen autobiographisch begründeten Hoffnungen, Erwartungen, Le­benszielen und Perspektiven treffen. Die Epilepsietherapie muss also nicht nur dem entsprechenden Epilepsiesyndrom, sondern auch den individuellen Erwartungen der unterschiedlichen Patienten gerecht werden", konstatierte Steinhoff. Ältere Patienten, Frauen, Kinder – un­terschiedliche Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse, die auch bei der antiepileptischen Medikation berücksichtigt werden müssen. Eine Epilepsie berührt viele Lebensbereiche: Schule, Beruf, Freizeit, Fa­milie, Sexualität und Kinderwunsch. Ein modernes Antiepileleptikum muss deshalb vielseitige Anforderungen erfüllen können. „Ein Antiepi­leptikum, das wie Levetiracetam bei unterschiedlichen Epilepsiesyn­dromen wirksam ist, keine Enzyminduktion aufweist, ein sehr günstiges Interaktionsprofil hat und in verschiedensten Darreichungsformen zu­gelassen ist, ist grundsätzlich ein guter Kandidat, unterschiedlichen Pa­tientenerwartungen gerecht zu werden und somit eine Substanz, de­ren früher Einsatz in vielen Fällen gerechtfertigt erscheint“, erklärte Steinhoff.

Antiepileptika altersgerecht einsetzen
Rund ein Drittel der Epilepsiepatienten in Deutschland sind Kinder und Jugendliche. Ihre Behandlung bedeutet eine besondere Herausforde­rung. Manche Epilepsie­formen der jungen Patienten lassen sich gut mit Medikamenten behandeln, bei anderen wirken die Medikamente nur bei einem geringen Prozentsatz der Kinder und Jugendlichen. Antiepi­leptika dürfen bei Kindern und Jugendlichen weder das Wachstum noch die Pubertät beeinflussen. Sie sollten vor allem die Kognition nicht beeinträchtigen, da die Kinder rasche Entwicklungsphasen durchmachen.Neben dem Kindes- und Jugendalter bildet die Altersgruppe der über 65-Jährigen einen weiteren Altersgipfel für das Neuauftreten einer Epilepsie – die Tendenz ist mit dem zunehmenden Anteil der älteren Menschen steigend. Privatdozent Dr. med. Konrad J. Werhahn, Mainz, erläuterte die Besonderheiten, die bei älteren Epilepsiepatienten be­rücksichtigt werden müssen: „Die Diagnosestellung Epilepsie ist im Al­ter komplex. Ältere Menschen leben oft allein, was die Beobachtung bzw. die Fremdanamnese von Anfällen erschwert. Durch kognitive Ein­schränkungen können sie Anfälle oft nicht gut wahrnehmen und be­schreiben. Zudem kann die Diagnose etwa durch die im Alter deutlich längere, zum Teil über Tage andauernde Verwirrtheitsphase nach dem Anfall erschwert sein.“ Auch die Anfallstypen bzw. die Klinik der An­fälle ändere sich im Alter: Anfallsvorgefühle, die eine Warnung sein könnten und große epileptische Anfälle, die leicht als epileptisch zu er­kennen sind, seien im Alter seltener als in jungen Jahren.Auch bei der antiepileptischen Therapie müssen die besonderen An­forderungen von älteren Patienten berücksichtigt werden. Ihr Stoff­wechsel funktioniert anders, so dass z. B. Wirkstoffe langsamer abge­baut werden. „Ältere Menschen reagieren empfindlicher gegenüber den Wirkungen, aber auch den Nebenwirkungen der Antiepileptika. Die höhere Empfindlichkeit gegenüber der Wirkung bedeutet, dass die Medikamente viel vorsichtiger und niedriger dosiert werden müssen“, erklärte Werhahn. Um zu verhindern, dass Medikamente von den be­tagten Patienten aufgrund von Nebenwirkungen nicht eingenommen werden, sollten die modernen, nebenwirkungsärmeren Wirkstoffe zum Einsatz kommen.Werhahn wies darauf hin, dass die Forschung über den Einsatz von An­tiepileptika bei Älteren noch am Anfang steht: „Die Wahl des richtigen Antiepileptikums fällt gerade bei den Senioren schwer, da es nur we­nige Studien gibt, die speziell für diese Patientengruppe entworfen wurden. Die Ergebnisse aus den Zulassungsstudien mit jungen Erwach­senen sind nicht unbedingt übertragbar.“ Hinzu komme, dass Ältere vielfach schon gegen andere Krankheiten mit Medikamenten behan­delt werden. Der Arzt müsse dann bei der Auswahl eines Antiepilepti­kums berücksichtigen, dass es keine Wechselwirkungen mit diesen eingeht. Solche Wechselwirkungen können die Wirksamkeit der Medi­kamente beeinträchtigen oder die Verträglichkeit ungünstig beeinflus­sen. Gerade hierbei schneiden die klassischen älteren Antiepileptika schlechter ab als die modernen, da sie im Stoffwechsel störende Be­gleitreaktionen auslösen können.

Begleiterkrankungen der Epilepsie
Eine Epilepsie kann den betroffenen Patienten je nach Art und Ausmaß der Anfälle in vielerlei Hinsicht einschränken. Kommen weitere Beglei­terkrankungen hinzu, kann dies zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität führen. Dr. med. Hans-Beatus Straub, Bernau, sieht deswegen einen umfassenden Behandlungsansatz als erforderlich an: „Ein umfassender Behandlungsansatz, wie er mit dem Begriff Compre­hensive Care beschrieben wird, ist an den Epilepsiezentren in Deutsch­land etabliert und integriert u. a. auch die sozialmedizinische und psy­chologische Begleitung der Betroffenen und ihrer Angehörigen in ein umfassendes rehabilitatives Konzept. Im Mittelpunkt aller Bemühungen steht die Minimierung von Erkrankungsrisiken und das Wiedererlangen einer möglichst hohen Lebensqualität. Diese korreliert zwar am stärks­ten mit dem Erreichen von Anfallsfreiheit, hängt aber keineswegs aus­schließlich von diesem Ziel ab. Ein breites Spektrum von Begleiterkran­kungen kann im Einzelfall die Lebensqualität stärker einschränken als die epileptischen Anfälle.“Krankheiten, die eine Epilepsie begleiten, lassen sich entweder auf die­selbe Ursache zurückführen oder es sind Folgeerkrankungen aufgrund der Anfälle oder der Epilepsietherapie. „Von herausragender Bedeu­tung bei den Folgeerscheinungen sind die sozialen Auswirkungen der Anfälle. Neben der Einschränkung der Mobilität – Menschen mit akti­ver Epilepsie können meist nicht Auto fahren – spielen zahlreiche be­rufliche Nachteile und insbesondere Vorurteile eine große Rolle. Oft­mals sind unberechtigte Ängste und Fehleinschätzungen der Umge­bung für die Betroffenen belastender als die Anfälle selbst“, erklärte Straub. Diese Faktoren spielten zusammen mit einer syndromabhängig erhöhten Empfänglichkeit für das gehäufte Auftreten psychischer Stö­rungen bei Epilepsie eine entscheidende Rolle. Depressive Störungen und Angsterkrankungen machten dann eine gezielte Behandlung not­wendig. Bei den therapiebedingten Begleiterkrankungen konnte die Einführung der modernen Antiepileptika mit günstigen Nebenwirkungsprofilen, ebenso wie verbesserte diagnostische und chirurgische Verfahren, in den letzten Jahren die Situation für die Patienten deutlich verbessern. „Eine moderne Epilepsiebehandlung, eingebettet in ein Comprehen­sive Care-Konzept, verbessert das Risikomanagement von Epilepsien auch hinsichtlich der Begleiterkrankungen erheblich“, fasste Straub zu­sammen.

Leben mit Epilepsie
Anja Daniel-Zeipelt stand mitten im Leben, als sie vor wenigen Jahren durch einen Unfall plötzlich an Epilepsie erkrankte. Bei einem Sturz hatte sie einen Schädelbasisbruch erlitten, der jedoch erst viel später bei einer Routineuntersuchung diagnostiziert wurde. „Innerhalb der ersten Wochen nach dem Unfall bemerkte ich erste Erinnerungslücken, ich litt an Konzentrationsmangel und mein rechter Arm begann immer häufiger zu zittern. Ich ging wieder zu meinem Arzt und erfuhr, dass ich nicht mehr Auto fahren dürfte. Kurze Zeit später verlor ich, auf­grund der sich verschlimmernden Symptome, meine Arbeit“, erzählte Daniel-Zeipelt. Das Leben änderte sich für die sportliche junge Frau und zweifache Mutter dramatisch. Fünf Monate nach dem Unfall wurden die Symptome immer schlimmer. In einer neurologischen Klinik wurde nach einer Video- und EEG-Überwachung schließlich die Diagnose ge­stellt: komplex fokale Anfälle – Epilepsie. „Mir wurde sofort bewusst, dass ich die Wahl hatte: Ich konnte mich entweder in ein tiefes, dunkles Loch der Depression und des Selbst­mitleids fallen lassen oder die Herausforderung annehmen und mein Leben der neuen Situation anpassen. Einer Sache war ich mir von An­fang an sicher: Ich wollte auf keinen Fall aufgeben. Ich doch nicht!“, schilderte Daniel-Zeipelt ihre ersten Gedanken nach der Diagnose. Lei­der kam die Epilepsie zunächst noch nicht zum Stillstand, so dass wei­tere Klinikaufenthalte notwendig wurden. Bis zu acht Anfälle am Tag musste Daniel-Zeipelt durchmachen. Ein Spezialist beschloss, die Medi­kamentendosis zu reduzieren. „In einer Spezialklinik lernte ich sechs Wochen lang, die Aura zu erkennen, die einem Anfall vorausgeht und wie ich bewusst versuchen kann, mich zu entspannen. Jeden Tag übte ich autogenes Training und gezielte Entspannung. Dort entdeckte ich auch das Malen als eine völlig neue Möglichkeit, meine Gefühle auszu­drücken. Endlich hatte ich einen Weg gefunden, gut mit der Epilepsie zu leben, was teilweise darin bestand, vorbeugend mit meiner Ge­sundheit umzugehen“, erzählte Daniel-Zeipelt. „Ich bin offen und ehr­lich zu meinem Neurologen und wir arbeiten ständig daran, eine aus­gewogene Medikation zu finden, um meine Anfälle und die Nebenef­fekte zu kontrollieren. Ich vermeide außerdem unnötigen Stress. Der­zeit habe ich meine Anfälle unter Kontrolle – früher hatte ich bis zu acht Anfälle am Tag. Was für ein Unterschied!“

Mehr Leben – weniger Epilepsie
Unbe­friedigende Behandlungsergebnisse, Arzneimittelnebenwirkungen und Einschränkungen der Lebensqualität müssen nicht von jedem Pati­enten einfach akzeptiert werden, da oft eine alternative Behandlung möglich ist. Beinahe sieben von zehn Patienten könnten anfallsfrei sein – es ist sehr wahrscheinlich, dass es weniger sind. In einer aktuellen Studie wurden 173 Patienten, die eine gute Anfallskontrolle hatten, von Fachärzten untersucht. 67 % der Patienten zeigten medikamen­töse Beeinträchtigungen, die nicht unbedingt hingenommen werden müssen. „Genau hier setzt die Initiative „Mehr Leben, weniger Epilep­sie“ an. Sie möchte Patienten, die sich durch ihre Epilepsie beeinträch­tigt fühlen, motivieren, besser mit der Krankheit umzugehen“ erklärte Nicole Reketat, Monheim. Das neue ganzheitliche Programm „Mehr Leben, weniger Epilepsie“ möchte diese Patienten, die noch nicht an­fallsfrei sind oder die unter Beeinträchtigungen durch Epilepsiemedi­kamente leiden, motivieren einen Spezialisten aufzusuchen, um ein unabhängiges und sicheres Leben mit der Krankheit zu erlernen. Sechs Monate erhalten die Betroffenen oder ihre Angehörigen ein Motivati­onsprogramm mit anschaulichen Informationen zur Krankheit sowie Tipps für konkrete Lebenssituationen – unabhängig von einer bestimm­ten medikamentösen Therapie. Darüber hinaus bietet das Programm konkrete Motivation und Hilfestellung für einen erfolgreichen Arztbe­such. Informationen zum kostenlosen Motivationsprogramm „Mehr Leben, weniger Epilepsie“ sind unter der Telefonnummer (0800) 18 25 613 oder im Internet unter www.Epilepsie-gut-behandeln.de erhältlich.


Quelle: 3. Turmgespräch Epilepsie am 09.10.2007 in Köln zum Thema: Patienten – Positionen – Perspektiven. Die Pressekonferenz wurde veranstaltet von der Firma UCB Pharma GmbH (Kerpen) (Medizin und PR GmbH Gesundheitskommunikation).

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